Ulrich Naumann
Planungen zur Struktur und Funktionsweise des Integrierten Bibliotheksverwaltungssystem für die Bibliotheken der Freien Universität Berlin
Gliederung
1. Darstellung der bisherigen Arbeiten zur Beschaffung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems
Zunächst soll eine kurze Darstellung der bisherigen Arbeiten in der Freien Universität Berlin für die Beschaffung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems gegeben werden.
Angesichts der Notwendigkeit, ihr inhaltlich und technisch veraltetes Ausleihsystem zu ersetzen, hatte die Universitätsbibliothek im Juli 1990 einen Antrag auf Förderung einer Investitionsmaßnahme im Rahmen der Hochschulbauförderung (HBFG-Antrag) gestellt, der darauf hinzielte, das vorhandene BIAS-Ausleihsystem der Fa. Siemens durch die Weiterentwicklung des für alle Hochschulbibliotheken Bayerns in ähnlicher Weise zum Einsatz kommenden Ausleihsystems zu ersetzen. Wir verstanden diesen Ersatz als Baustein für ein dann aufzubauendes Integriertes Bibliotheksverwaltungssystem, das dem für Bayern flächendeckend vorgesehenen SIBIS-System entsprechen sollte. Für das SIBIS-System, das das Ausleihsystem mit Kataloginformationen aus einem Katalogisierungsmodul versorgt, war bereits eine Vorleistung dadurch erbracht worden, daß die Universitätsbibliothek seit 1990 die neuen Medienbestände der FUB komplett online in den Berliner Monographienverbund einbrachte. Dieser Antrag wurde schließlich am 6.3.1991 endgültig abgelehnt.
Verbunden mit der Ablehnung dieser Planungen wurde die Freie Universität Berlin aufgefordert, einen zügigen Anschluß der Universitätsbibliothek und der Fachbibliotheken an den Berliner Katalogisierungsverbund herzustellen. Ziel dieses Anschlusses ist, die dort unter rationeller Nutzung von Verbund- und Fremdleistungen erfaßten Daten aus allen Bibliothekseinrichtungen der FUB mit Hilfe eines leistungsfähigen lokalen Bibliotheksverwaltungssystems mit den üblichen Komponenten Online-Benutzerkatalog, Ausleihverbuchung und Erwerbung den Wissenschaftlern und Studierenden der FUB online zugänglich zu machen. Hierbei spielten auch die Forderungen des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der die "Marschrichtung" für alle EDV-Installationen im deutschen Bibliothekswesen angibt, zur Hardwareunabhängigkeit der Software, zur Verwendung von verbreiteten Standards bei Betriebssystemen, Datenbanken und Netzwerken sowie zum Client-Server-Konzept eine große Rolle. Diese Forderungen waren bei dem Siemens-Produkt nicht erfüllt.
Im Kern erforderte die Ablehnung eine grundlegende Neuorientierung für unseren Antrag, weil nun nicht mehr nur die Universitätsbibliothek, sondern alle Fachbibliotheken der FUB sofort in ein solches Konzept einzubeziehen waren. Es war gleichsam ein "Verbund im Verbund" zu schaffen. Der ursprüngliche HBFG-Antrag wurde deshalb nicht mehr weiterverfolgt und auf Nachfrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft im August 1992 offiziell zurückgezogen.
Bereits seit November 1991 arbeitete eine etwa zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassende Arbeitsgruppe der Universitätsbibliothek an einem neuen Konzept, das den gestellten Anforderungen genügen sollte. In Vorbereitung einer EU-weiten Ausschreibung, die angesichts der erforderlichen Investitionssumme verbindlich vorgeschrieben ist, wurde eine "Verdingungsunterlage" erarbeitet. Aufgrund umfangreicher Geschäftsgangsanalysen und Ermittlungen von Besonderheiten unseres Bibliotheksbetriebs etwa im Bereich zukünftig automatisch zu verwaltender Signaturenstrukturen wurden darin Abläufe skizziert, Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt und Fragen nach vom Anbieter dafür gesehenen Lösungen gestellt. Hierbei wurden soweit wie möglich auch die speziellen Anforderungen der Fachbibliotheken einbezogen, die über einen Gesprächskreis in die Arbeitsgruppenarbeit einbezogen waren. Die Verdingungsunterlage umfaßte schließlich mitsamt allen Anlagen etwa 500 Seiten. 1)
Im Mai 1994 wurde die Beschaffung des Systems europaweit ausgeschrieben. Insgesamt 42 Firmen forderten die Verdingungsunterlage an. Zum Schlußtermin der Angebotsabgabe im Oktober 1994 lagen sieben Angebote, teils von Bietergemeinschaften, vor. Diese Angebote wurden von der UB-Arbeitsgruppe in fast ganztägigem Einsatz unter Vernachlässigung der laufenden Aufgaben in drei Monaten gründlich analysiert und bewertet. In teils mehrmaligen Nachfragerunden mit den Anbietern wurden Präzisierungen vorgenommen und Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Es zeigte sich jedoch, daß bis zur in der Ausschreibung angegebenen Zuschlagsfrist keines der eingereichten Angebote in der Lage war, alle notwendigen Anforderungen an ein solches Integriertes Bibliotheksverwaltungssystem zu erfüllen.
Bemerkenswert war in vielen Gesprächen, daß von uns als im Angebot fehlend monierte Teile immer für den Fall zugesagt wurden, daß die Firma den Auftrag erhielte, aber eine Realisierung ohne diesen Auftrag nicht geleistet würde. Ein Beispiel: Das Erstellen von Sammelschreiben (Zusammenfassen mehrerer Tatbestände wie Mahnungen, Verlängerungen und Vormerkbenachrichtigungen) bei Benutzerbenachrichtigungen wird von uns als Standard von Systemen angesehen, da dies ein ganz wesentlicher Kostenfaktor des laufenden Betriebs ist, der bei uns einen Portokosten-Unterschied von 100.000 DM im Jahr ausmacht. Wenn eine solche Funktionalität auch in seit mehreren Jahren auf dem Markt angebotenen Lösungen trotz zahlreicher Releases noch nicht implementiert war und als Sonderleistung für unser System dargestellt wurde, erschien es uns nachdenkenswert, ob die alltäglichen Probleme großer Ausleihsysteme bekannt waren. Eine besondere Schwierigkeit für die Firmen war die unabdingbare Funktionalität, direkt in unsere Verbünde BVBB (Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg) und ZDB (Zeitschriftendatenbank) katalogisieren zu können. Wenn dies bei der regionalen Sonderentwicklung BVBB noch verständlich war, war es für die überregional arbeitende Zeitschriftendatenbank umso unverständlicher.
Ergebnis der Begutachtungen war, daß die europaweite Ausschreibung im Februar 1995 formal aufgehoben werden mußte.
Wir begannen danach sofort, unsere Verdingungsunterlage aufgrund der am Markt angebotenen Problemlösungen zu durchforsten, um wünschenswerte Spezialitäten, die aber so (oder so noch nicht) zu leisten waren, zu eliminieren. Ziel war, einen "Anforderungs- und Fragenkatalog" 2) zu erarbeiten. Er wurde Grundlage eines Verhandlungsverfahrens mit den Anbietern, die sich an der Ausschreibung beteiligt hatten. Der Anforderungskatalog unterschied sich von der Verdingungsunterlage dadurch, daß nun an vielen Stellen gefragt wurde, ob die beschriebene Funktionalität bereits jetzt oder in einem vom Anbieter zu benennenden Zeitraum in ihrer Verfügbarkeit gewährleistet würde oder ob sie nicht bereitgestellt werden würde.
Mit insgesamt etwa 1.700 solcher Positionen größerer oder geringerer Bedeutung für die Funktionalität eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems wurde der Anforderungs- und Fragenkatalog im Mai 1995 den Anbietern aus dem Ausschreibungsverfahren zugesandt. Da im Gegensatz zum Ausschreibungsverfahren nun Rückfragen während der Beantwortung erlaubt und erwünscht waren, konnten schon beim Abfassen der Antworten weitere Unklarheiten beseitigt werden.
Ende Oktober 1995 lagen Antworten von fünf Anbietern vor. Diese wurden wiederum mit erheblichem Arbeitseinsatz von der UB-Arbeitsgruppe eingehend gesichtet, in Vergleichstabellen zusammengefaßt und bewertet. Im Januar 1996 traf dann die UB-Leitung die fachliche Entscheidung, das Angebot der Fa. BB-DATA zur Grundlage des nun folgenden (hochschul-) politischen Entscheidungsprozesses und eines HBFG-Antrags zu machen.
Der Fa. BB-Data wurde diese Entscheidung nur als Option für ihr System mitgeteilt, weil diese Software zwar funktional das überzeugendste Angebot darstellte, jedoch noch kein Nachweis in einem Masseneinsatz mit hohen Datendurchsatzraten bei geringen Antwortzeiten vorlag. Um diese Funktionalität im Masseneinsatz zu testen, wurden der Fa. ca. 50.000 "verfremdete" Benutzerdatensätze und ca. 1,2 Millionen Buchdatensätze, die jeweils aus den bei der UB gehaltenen Datenbeständen generiert wurden, zur Verfügung gestellt.
Als Ergebnis der Belastungstests ist mitzuteilen, daß es der Fa. BB-Data und der mit ihr verbundenen Software-Firma aStec in einer relativ kurzen Zeit gelungen ist, ihr System den funktionalen Anforderungen entsprechend weiterzuentwickeln und darüber hinaus in enger Kooperation mit der Universitätsbibliothek geeignete Lösungen für die Anforderungen der bibliothekarischen Verwaltungspraxis zu finden, die z. T. über die ursprünglich geforderten Funktionalitäten hinausgehen. Bei Anpassungen bewies das System eine hohe Flexibilität. Das System lief während der Testphase stabil, nennenswerte Inkonsistenzen traten nicht auf.
Beflügelnd für die Arbeiten seitens der Fa. BB.Data war dabei sicherlich auch die Tatsache, daß sie im Mai 1996 einen Rahmenvertrag mit der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur abschließen konnte, der die flächendeckende Einführung dieses Systems in allen Berliner Öffentlichen Bibliotheken vorsieht. Nur am Rande soll mitgeteilt werden, daß 1994 in 14 Berliner Bezirken zum Teil wesentlich mehr Ausleihen durchgeführt wurden als in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, ein hochleistungsfähiges Ausleihsystem dort also unabdingbar ist.
Damit waren von seiten der Universitätsbibliothek die fachlichen Voraussetzungen für die Beschaffung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems geklärt, so daß nun der für Investitionen solchen Umfangs erforderliche Antragsweg beschritten werden konnte. Kurzgefaßt besteht dieser Weg aus der Formulierung eines Investitionsantrags nach dem Hochschulbauförderungsgesetz, der über die Universitätsleitung an die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur zu stellen ist. Die Senatsverwaltung reiht diesen Antrag in die investiven Hochschul(bau)vorhaben des Landes ein und veranlaßt die Begutachtung durch die zuständigen Gremien (in unserem Fall durch den Unterausschuß für Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der hier dem Wissenschaftsrat zuarbeitet). Der Wissenschaftsrat beschließt die Aufnahme des Vorhabens in den nächsten Rahmenplan für den Hochschulbau, wodurch die fünfzigprozentige Mitfinanzierung des Bundes für dieses Vorhaben gesichert ist. Kommt es allerdings zu Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern über die jeweiligen Beitragshöhen, wie sie beim 25. Rahmenplan 1996-1999 zu beobachten waren, liegen auch alle darin vorgesehenen Einzelmaßnahmen "auf Eis". Parallel dazu wurde bereits seit einigen Jahren im Haushaltsplan der Freien Universität Berlin der Titel 01/81269 mit fünf Millionen DM (einschließlich der Verpflichtungsermächtigungen) eingerichtet, um im Investionsfall die entsprechenden Mittel bereitstellen zu können.
Nach diesen langjährigen arbeitsintensiven Vorarbeiten und bei diesem Entscheidungsstand erfuhren wir zunächst ungläubig aus dem TAGESSPIEGEL vom 16. August 1996 die Meinung des für uns zuständigen Staatssekretärs in der Wissenschaftsverwaltung, Prof. Dr. Erich Thies: "In seiner Sicht haben die Verantwortlichen die Entwicklung verschlafen: Die Berliner wissenschaftlichen Bibliotheken selbst hätten die Einführung moderner Computersysteme bislang nicht vorangetrieben."3). Zu dieser Sicht war er nach einer Sitzung mit den Direktoren der Universitätsbibliotheken am 9. Juli 1996 gelangt, in der die Direktoren über die bisherigen Arbeiten Bericht erstatteten. Er erwog auch eine Lösung des Systemproblems aufgrund eines Gesetzes bzw. eines Auflagenbeschlusses durch das Abgeordnetenhaus von Berlin.
Angesichts dieser Geringschätzung unserer bisherigen Arbeit, der sich auch Kultur- und Wissenschaftssenator Peter Radunski anschloß4), konnte es deshalb nicht überraschen, daß der Staatssekretär in einer Sitzung des Lenkungsausschusses für den Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg (ein Gremium, in dem die grundsätzlichen Entscheidungen für das kooperative Zusammenarbeiten der wissenschaftlichen Bibliotheken beider Länder getroffen werden soll(t)en) am 4. September 1996 den sofortigen Stop aller eigenständigen Bemühungen zur Beschaffung von lokalen Integrierten Bibliotheksverwaltungssystemen anordnete. Er werde nun die Entscheidung für ein für alle Hochschulbibliotheken in Berlin einheitliches lokales Bibliotheksverwaltungssystem treffen. Dabei werde er auch gleich die noch offene Frage, wie es technologisch mit dem Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg weitergehen wird, erledigen. Da die Berliner Bibliothekare nicht aus ihrem Schlaf gerissen werden sollen, ist eine auswärtige Expertengruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft beauftragt worden, dem Staatssekretär hierfür Vorschläge zu machen. Dieser Strukturvorschlag wird dann von den Entscheidungsträgern (Land Berlin für die Hochschulbibliotheken (sic! Hochschulautonomie?), Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Staatsbibliothek zu Berlin) umgesetzt werden.
2. Die Struktur des von uns geplanten Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems
Was bei den Planungen, die der Senat von Berlin an sich gezogen hat, herauskommt, ist mir unbekannt. Ebenso ist mir unbekannt, ob sich mit dem ausgewählten System die von uns geplante Struktur nachbilden läßt. Es ist nicht einmal völlig auszuschließen, daß der Senat von Berlin, seiner Strategie für die Öffentlichen Bibliotheken Berlins folgend, sich für das BB-Data-System entscheidet, das vom ihm dafür ausgewählt worden ist, und für das wir uns ebenfalls entschieden hatten. Wir hätten in diesem Fall nur ein weiteres Jahr verloren. Bei jeder anderen Systementscheidung müssen wir nochmals von vorn anfangen.
Angesichts der offenen Entscheidungssituation kann ich im folgenden nur so tun, als ließen sich unsere bisherigen Planungen verwirklichen und ein Bibliotheksverwaltungssystem skizzieren, wie es hätte sein können, wenn wir die Handlungsautonomie hätten behalten können. Ich will dies unter sechs Stichpunkten tun: Zielvorstellung, Kern des Bibliotheksverwaltungssystems, Realisierungsmethode, Systemausbau, Kosten und Ersparnisse.
2.1 Zielvorstellung
Unser Integriertes Bibliotheksverwaltungssystem soll ein flächendeckendes offenes Netzwerk für Informationsdienstleistungen bilden.
Die räumlich und (noch) verwaltungsmäßig dezentrale Struktur der Freien Universität Berlin, auch der Umfang der weiterhin innerhalb dieses Bibliothekssystems zu beschaffenden und zu verwaltenden Medieneinheiten erfordert es, daß mehrere aktive Knoten in diesem Netzwerk eingerichtet werden müssen. Während wir in früheren Überlegungen von einer Zahl von etwa 16 solcher Knoten ausgegangen sind, ist durch die 1996 begonnene Diskussion über die zukünftige Struktur des Bibliothekssystems der Freien Universität Berlin die Zahl der zukünftigen Knoten unbestimmt. Sicher ist jedoch, daß sie erheblich geringer sein wird als die ursprünglich unseren Planungen zugrundegelegte Zahl. Daher ist es zur Zeit angebracht, nicht einzelne Bibliotheken als zukünftige Netzknoten zu benennen, sondern nur ganz allgemein von Bibliotheksverwaltungszentralen zu sprechen. Neben diesen aktiven, Bibliotheksinformationen in das Netzwerk einspeisenden Verwaltungszentralen werden zahllose passive Teilnehmer auf das Netzwerk zugreifen können. Dies können alle netzfähigen DV-Installationen (PCs, Workstations etc.) sein, und zwar lokal, regional und überregional. Vor allem werden es neben den Einrichtungen der FUB die am System angemeldeten Benutzerinnen und Benutzer sein, die in diesem System nicht nur Informationen abfragen, sondern über eine Selbstbedienungskomponente auch zugelassene Veränderungen in ihren Benutzungskonten selbständig durchführen können. Nicht registrierte Benutzerinnen und Benutzer können nur die Retrievalkomponente nutzen. Gleichzeitig wird dieses Netzwerk auch offen gegenüber anderen Netzen gestaltet werden.
2.2 Kern des Bibliotheksverwaltungssystems
Der Kern des Systems ist ein einheitlich angebotener OPAC (Open Public Access Catalogue) mit der bereits erwähnten Retrievalkomponente für alle und einer Selbstbedienungskomponente für die am System angemeldeten Benutzerinnen und Benutzer. Dieser OPAC ist der den Benutzerinnen und Benutzern sichtbare Teil des Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems. Der OPAC ist das Ergebnis der in den Netzknoten "im Hintergrund" geleisteten Arbeit hinsichtlich Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung von Medien.
OPAC
Beschaffung Erschließung Bereitstellung
2.3 Realisierungsmethode
Das Bibliotheksverwaltungssystem wird in den Verwaltungszentralen auf der Basis einer gemeinsamen Hard- und Betriebssystemsoftware in Client-Server-Architektur und einer gemeinsamen Anwendungssoftware installiert. Die gemeinsame Anwendungssoftware bedeutet nun nicht, daß damit für alle eine einheitliche Strukturierung vorgegeben wird. Vielmehr gilt hier der Grundsatz, daß Einheitlichkeit nur auf die Bereiche begrenzt wird, für die von allen ein einheitliches Verhalten erwartet werden muß. Wir haben deshalb für die einzelnen Untersysteme spezifische Ausgestaltungsmöglichkeiten (Parametrierungen) vorgesehen, die diesem Grundsatz folgen.
So gilt für alle gemeinsam:
- Katalogisierung in einen regionalen Monographienverbund (gemeinsame alphabetische Katalogisierung, gemeinsame verbale sachliche Erschließung nach einem genormten Regelwerk (RSWK), aber: individuelle klassifikatorische Sacherschließung nach einer vorhandenen Aufstellungssystematik)
- Literaturbestellung mit einer zentralen Titeldatei (Erwerbungsabstimmung)
- gemeinsam verwaltete Benutzerstammdaten (für die Übernahme in lokale Ausleihsysteme)
So gilt für alle mit spezifischen Parametrierungen:
- Ausleihsysteme mit bibliotheksspezifischen Medientyp- und Benutzergruppendefinitionen
- lokale Erwerbungssysteme für die Bestellbearbeitung und Mittelverwaltung
Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Bibliotheksverwaltungssystems ist die Errichtung einer flächendeckenden Außerhaus- und Innerhaus-Vernetzung an der FUB. Diese Vernetzung kann jedoch nicht von den Bibliotheken und Nutzern geschaffen werden, sondern ist als allgemeine Infrastrukturmaßnahme Aufgabe der Bauabteilung der FUB und der Zentraleinrichtung Datenverarbeitung (ZEDAT).
2.4 Ausbau des Systems
Als Netzwerk für Informationsdienstleistungen hat der skizzierte OPAC mit den verfügbaren Informationen zum Medienbestand in den Bibliotheken der FUB eine grundsätzlich offene Struktur. Neben den im System selbst enthaltenen bzw. für dieses System aufbereiteten oder noch aufzubereitenden eigenen Informationen (hier denken wir an den Bestandsnachweis aller Monographienbestände der FUB, da bisher "nur" die Monographien in allen Bibliotheken ab 1990 und der gesamte Zeitschriftenbestand im OPAC enthalten sein werden) muß es Schnittstellen geben für:
- den Zugriff auf zentral von der UB angebotene CD-ROM-Datenbanken (ca. 100)
- den Zugriff auf regionale und überregionale Gesamtkataloge
- den Zugriff auf nationale und internationale Datenbanken.
Wie diese Zugriffsmöglichkeiten im einzelnen auf der Benutzeroberfläche präsentiert werden, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. So ist es denkbar, den OPAC als einen Anwählpunkt in eine WINDOWS-Oberfläche zu integrieren, die auch die übrigen Netzschnittstellen enthält. Vorbild können auch die verschiedenen Browser-Oberflächen sein, die für das Internet angeboten werden.
2.5 Kosten
Wir haben bisher mit Gesamtbeschaffungskosten in Höhe von 9 Millionen DM gerechnet, verteilt über drei bis vier Jahre. Darin waren etwa 7 Millionen DM für die Hard- und Software und etwa 2 Millionen DM für die Implementierungskosten in den einzelnen Bibliotheksverwaltungszentralen enthalten. Darüber hinaus haben wir mit jährlichen Folgekosten in Höhe von von etwa 10 % der Hard- und Softwarekosten, also etwa 0,7 Millionen DM gerechnet. Nicht zu vernachlässigen sind die Verbundanschlußkosten an den Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg, die bei etwa 6 DM pro eingebrachtem Titel liegen, bei jährlich etwa 100.000 neuen Titeln also bei etwa 0,6 Millionen DM. Alle diese Kostenschätzungen sind jedoch aufgrund der jüngsten Entwicklungen sehr schwankend geworden und müssen neu berechnet werden, da sowohl bei der Ausstattung mit Hardware erhebliche Abstriche nach unten möglich sein werden als auch die Zahl der jährlich in den Verbund einzubringenden neu beschafften Medieneinheiten eine starke Tendenz nach unten aufweist. Auf der anderen Seite werden alle Titel, die durch die retrospektive Katalogisierung in den Verbund eingebracht werden, entsprechende Kosten verursachen.
Einer Ausarbeitung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur ist ein Kostenansatz für die Beschaffung des Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems der Freien Universität Berlin in Höhe von ca. 3,5 - 5 Millionen DM zu entnehmen. Es ist sicherlich nicht unberechtigt, für die spätere Realisierung von der niedrigeren Summe auszugehen. Dies zeigt zugleich deutlich die Grenzen, die für die Verwirklichung unserer hier skizzierten Vorstellungen "von oben" gezogen worden sind.
2.6 Ersparnisse
Eine in diesem Zusammenhang notwendig zu stellende Frage ist die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Maßnahme. Auch wenn Investitionen in diesem Bereich der Öffentlichen Verwaltung nicht unmittelbar mit erwerbswirtschaftlichen Kosten-Ertrags-Überlegungen bearbeitet werden können, bleibt dennoch die Notwendigkeit, auch mit den notwendigerweise "weicheren" Daten Kosten-Wirksamkeits-Überlegungen anzustellen.
Die Maßnahme dient der Verbesserung der Informationsbereitstellung insgesamt und der Rationalisierung des bibliothekarischen Verwaltungshandelns (Beschaffung, Katalogisierung, Medienbereitstellung) in allen aktiv am Netzwerk beteiligten Bibliotheken.
Wenn wir vorsichtig mit einer Personalkostenersparnis von 30 %, einsetzend etwa 3 Jahre nach genereller Einführung des Systems, nur im Bereich der im wesentlichen den Zugang bearbeitenden Kräfte der Vergütungsgruppen BAT Vb und IV b bzw. BBesgr A9 und A10 rechnen, ergibt sich eine theoretische Personalkostenersparnis in diesem Arbeitsbereich von 40 Stellen oder ca. 2,4 Millionen DM jährlich. Theoretisch deshalb, weil es bisher Konsens in der FUB war, in der Zugangsbearbeitung freiwerdendes Personal zur nachhaltigen Verbesserung der Benutzungsbedingungen der Bibliotheken einzusetzen. Theoretisch auch deshalb, weil ein Teil der freiwerdenden Stellen für qualifizierte EDV-Tätigkeiten umgewidmet werden muß (Systembetreuer). Theoretisch zum dritten, weil die Freie Universität Berlin aufgrund der Zuschußabsenkungen unter einen erheblichen Einspardruck auch im Bereich des nicht-wissenschaftlichen Personals geraten ist und viele der funktionsbedingt freiwerdenden Stellen nicht mehr für andere Aufgaben umwidmen, sondern streichen muß.
Nicht exakt meßbar sind die Ersparnisse und damit Gewinne, die sich für die Studierenden, Lehrenden und Forschenden aus einem solchen umfassenden Informationsdienstleistungssystem ergeben: Es seien nur genannt die Wegezeitersparnisse (alle Informationen sind am Schreibtisch zugänglich) und die Schnellbeschaffung von Informationen über Netze. Nimmt man beispielsweise an, daß FU-weit täglich 500 Nutzer zwei Stunden sparen (allein die UB hat arbeitstäglich etwa 1.500 Benutzer) und setzt dafür pro Stunde 30 DM an, addieren sich diese Ersparnisse auf 10,95 Millionen DM jährlich ! Wer aber legt fest, wieviel die Arbeitsstunde eines Studierenden wert ist? Für die Politik scheinen Studierende dem Land nur Kosten zu verursachen, aber keinen Nutzen zu erbringen; daher ließe sich auch alternativ berechnen, daß die Kosten eines solchen Systems niemals durch entsprechende Ersparnisse ausgeglichen werden können.
Allerdings ist auch richtig, daß die Ersparnisse sich noch vervielfachen, wenn man den lästigen Kostenfaktor "Universität" ganz beseitigt. Dann spart man sogar noch die Kosten für ein Integriertes Bibliotheksverwaltungssystem!
1) Verdingungsunterlage für die Beschaffung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems für die Bibliotheken der Freien Universität Berlin : Pflichtenheft für ein Integriertes System für die Bibliotheken der FU Berlin. - Berlin: UB der FU Berlin, 1994. - Getrennte Zählung
2) Anforderungs- und Fragenkatalog für ein Integriertes Bibliotheksverwaltungssystem für die Bibliotheken der Freien Universität Berlin. - Berlin: UB der FU Berlin, 1995. - Getrennte Zählung
3) Tagesspiegel Nr. 15 716 vom 16. August 1996
4) Zum Beweis der Originalton des Wissenschafts- und Kultursenators
Peter Radunski in einer Rundfunksendung am 2.11.1996: "Schlußlicht
der Nation kann ich nicht beurteilen. Aber seit ich hineinsehe,
hat mich das blanke Entsetzen gepackt. Ich weiß gar nicht,
was die Verantwortlichen in den Bibliotheken in den letzten zehn
Jahren getan haben. Wenn man dazu noch sieht, daß das Deutsche
Bibliotheksinstitut in Berlin residiert, muß man sagen,
die haben alle gemeinsam entweder zuviel gelesen und am Tag nicht
gearbeitet oder nie nachgedacht." In: Radiosendung GULLIVER
- Sätze und Gegensätze; Thema: Stiefkinder oder Leuchttürme?
Berlins Bibliothekenlandschaft, 2.11.1996, 17.05-18.00 Uhr, Sender
Freies Berlin, Programm SFB 3 (Zitat nach dem Manuskript der Sendung).
Eigentlich würde sich ein Kommentar erübrigen, weil
Herr Senator Radunski zugibt, daß er gar nicht weiß,
was die Verantwortlichen in den Bibliotheken in den letzten zehn
Jahren gemacht haben. Er kommt aber trotz des selbst bekannten
Nichtwissens zu einer derart pauschalen (und letztlich ehrenrührigen)
Beurteilung auch meiner Arbeit, der schon aus Selbstachtung widersprochen
werden muß, wobei es mir schwerfällt, das beamtenrechtlich
gesetzte Gebot der Mäßigung einzuhalten. Dabei kann
noch dahin gestellt bleiben, daß Herr Senator Radunski meint,
Bibliothekare würden zuviel lesen: Dies ist auch die verbreitete
Meinung bei "Lieschen Müller" über unsere
Arbeit und selbst einem Kultur- und Wissenschaftssenator nachzusehen.
Der von Senator Radunski konstruierte Gegensatz zwischen Lesen
und Arbeit erhellt mir nun auch, warum es mit dem Bestand der
Berliner Bibliotheken immer weiter bergab geht, denn Lesen hält
ja offensichtlich vom Arbeiten ab! Der Vorwurf, daß wir
am Tag nicht gearbeitet haben, müßte ihm bzw. seiner
Senatsverwaltung aus eigener Erfahrung vertraut sein. Ich will
es mir hier ersparen, auf die Vielzahl von Appellen, Voten und
Stellungnahmen des den Senator "beratenden" Fachbeirats
für das Bibliothekswesen im Land Berlin einzugehen, auf die
von Seiten der Senatsverwaltung nicht durch Bearbeitung und Entscheidung
reagiert wurde. Genannt seien die Forderungen nach Verabschiedung
eines einheitlichen DV-Konzepts für die Bibliotheken des
Landes Berlin als Richtschnur unseres Handelns (auch von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft als Beurteilungsgrundlage für einzelne
HBFG-Anträge aus den Hochschulen des Landes Berlin gefordert,
ohne die kein Antrag bearbeitet würde), die Bemühungen
um die rechtliche Absicherung des von uns betriebenen Verbundkataloges
(Start 1985, Statut 1993) oder auch die Errichtung einer gemeinsamen
Speicherbibliothek für die Bibliotheken in Berlin und Brandenburg
(erste Konzeption 1984, vierte überarbeitete Konzeption 1995).
Wer nicht in der Lage ist, Rahmenbedingungen zu setzen, darf sich
nicht wundern, wenn alles ungeordnet ist, so daß einem beim
Hineinsehen (um beim Bild und seinem Rahmen zu bleiben) "das
blanke Entsetzen packt". Wir kennen die von der Senatsverwaltung
gefertigten Protokolle der Sitzungen, in denen diese Voten unter
meiner Mitwirkung verabschiedet worden sind. Bei auch nur geringem
Aktenstudium wären auch dem Senator die Desiderate für
eine zukunftsorientierte Bibliothekspolitik im Lande Berlin, die
nicht von den Bibliotheken selbst gelöst werden können,
aufgefallen. Und selbst wenn ich bisher nie nachgedacht hätte:
Jetzt tue ich es, und zwar über mich und andere!