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Ulrich Naumann
Überlegungen zu einer neuen Struktur des Bibliothekssystems der Freien Universität Berlin
Gliederung:
Einleitung
Die gewachsene Bibliotheksstruktur an der FU Berlin wird zunehmend in Frage gestellt. Neben der generellen Kritik an der Zweischichtigkeit 1) dieses Systems mit einer zentralen Hauptbibliothek und über 100 Fachbibliotheken von teils beträchtlicher Größe sind es vor allem die Kosten, die diese Form der Literaturversorgung erfordert. Es wird immer deutlicher, daß die bisherige Struktur nicht mehr finanziert werden kann, so daß der Ruf nach massiven Einsparungen laut wird.
Es gilt, angesichts des Umbruchs in den Informationsversorgungsstrukturen und der real sinkenden Personal- und Sachmittelausstattung der Hochschule eine Überlebensstrategie für eine sinnvolle Literatur- und Informationsversorgung zu suchen. Diese Strategie kann sich nicht an den historisch begründeten Strukturen orientieren, sondern erfordert eine radikale, im Wortsinn "die Axt an die Wurzeln herkömmlicher Strukturen legende" Vorgehensweise. Ohne eine Strukturreform des Bibliothekssystems besteht die Gefahr, daß planlos ungleichmäßig in allen Bibliotheken der FU solange eingespart werden muß, so daß am Schluß keine der Bibliotheken mehr eine vernünftige Arbeitsgrundlage bietet.
Die Diskussion um eine neue Struktur der Literaturversorgung wurde (wieder) eröffnet durch das umfangreiche Wissenschaftsrat-Gutachten von 1990. Es gipfelte in der "Feststellung", bei der Literaturversorgung der Freien Universität handele es sich um ein "'Mammutsystem' mit weitgehend isoliertem Handeln auf allen Ebenen, schwacher Koordination und hohen inneren Reibungsverlusten"2). Die Freie Universität Berlin hat in einer ebenso umfangreichen Antwort auf diese Stellungnahme zu den dort gegen ihre Art der Literaturversorgung erhobenen Vorwürfen Stellung bezogen und ihre Praxis verteidigt 3) .
Es fällt nicht leicht, die noch in der Antwort auf die Wissenschaftsrats-Kritik verteidigte gewachsene Struktur aufzugeben. Da jedoch sicher ist, daß es keine finanzielle Basis gibt, die bisher noch gut funktionierende Struktur im Bibliothekssystem mit einer leistungsstarken Hauptbibliothek und zahlreichen weitgehend selbständig arbeitenden Fachbereichs- und Fachbibliotheken aufrechtzuerhalten, müssen wir nun energisch mit Veränderungen beginnen. Damit kann auch der Gefahr begegnet werden, daß uns die Gestaltungsmöglichkeiten aus den Händen genommen werden, wie jüngst in der Frage des EDV-gestützten Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems geschehen,. Eine von außen oktroyierte Struktur (als Vorbild mag dort die Humboldt-Universität zu Berlin dienen) wird unseren eigenen Gestaltungsbedürfnissen weniger gerecht werden als eine von uns selbst entwickelte Struktur.
Die Problematik einer grundlegenden Strukturveränderung wurde etwa seit Mai 1995 in einem kleinen Arbeitskreis der Hochschulleitung diskutiert. Anfang 1996 wurde dann als Ergebnis dieser Überlegungen eine Beratungsunterlage "Denkanstöße für eine Strukturreform des Informations-, Kommunikations- und Bibliothekswesens der FU Berlin" in die zentrale Bibliothekskommission der Hochschule (BIK) eingebracht. Die Kommission forderte alle Hochschuleinrichtungen auf, dazu Stellung zu beziehen. Hierzu liegt ein umfangreiches Konvolut von mehr als 30 Stellungnahmen vor, unter anderem auch als umfangreichste die Stellungnahme der Universitätsbibliothek4).
Ein weiteres auch als Reaktion auf diese Stellungnahmen erarbeitetes Positionspapier der Hochschulleitung5) nennt nochmals deutlich die Rahmenbedingungen, unter denen die Gestaltungsmöglichkeiten für eine neue Bibliotheksstruktur stehen. Es war nämlich in den Stellungnahmen der Fachbereiche deutlich geworden, daß in der überwiegenden Zahl der Beiträge ein Beibehalten der bestehenden Strukturen gefordert worden war, ohne daß gleichzeitig problematisiert wurde, wie man sich die zukünftige Finanzierung dieser Struktur vorstellen könnte. Um es zugespitzt zu formulieren: Oft wurde das "Sankt-Florians-Prinzip" zur Grundlage eigener Überlegungen gewählt.
Auch das Oktober-Heft 1996 der FU-Nachrichten hatte die Literaturversorgung an der Freien Universität Berlin zum Titelthema gewählt 6) , um die breitere universitäre Öffentlichkeit in die notwendigen Diskussionen einzubeziehen. Für die Kollegenschaft in den Bibliotheken der FUB wurde am 24. Oktober 1996 eine ganztägige Informationsveranstaltung mit mehr als hundert Teilnehmenden durchgeführt. Dort konnte ich kurz über die Planungen berichten und lege nun die "Langfassung" der dortigen Überlegungen vor. Dabei will ich mich auf vier für mich wesentliche Fragen beschränken:
Zur "Schichtigkeit" des Bibliothekssystems
Die bisherige Bibliotheksstruktur der FU Berlin erklärt sich zu einem guten Teil aus der Entwicklung der FU Berlin und aus der gesamten Nachkriegsgeschichte der Stadt. Bis zur Wende 1989/1990 wurde eine sehr gut ausgestattete Literaturversorgung an dieser Universität nicht nur als angemessen angesehen, sondern wegen der besonderen geopolitischen Lage sogar gefordert. Die Bibliotheksstruktur der Freien Universität Berlin ist zugleich die erste und letzte Strukturentscheidung für ein zweischichtiges, aus der deutschen Hochschultradition bekanntes System nach dem Zweiten Weltkrieg. Alle anderen Neugründungen, vor allem die Neugründungen nach 1960, wurden immer mit der Schaffung eines einschichtigen Bibliothekssystems - allerdings auch der baulichen Voraussetzungen dafür - verbunden. Hier wurde zwar immer eine einheitliche Leitung dieses Systems angestrebt, für die Standortentscheidung, also die Frage, wo die erworbene Literatur aufgestellt wurde, existiert aber ein breites Entscheidungsspektrum von der völlig zentralen Aufstellung (Bremen) bis zur völlig dezentralen Aufstellung (Bielefeld). Welche Wege ein bestehendes zweischichtiges System der "alten" Universität Freiburg beschritten hat, ist in dem Beitrag der Kollegin Schubel in diesem Tagungsband nachzulesen.
Es kann sogar bezweifelt werden, ob die Entscheidung für ein zweischichtiges Bibliothekssystem tatsächlich bewußt als eine Alternative zu einem einschichtigen System gesehen wurde. Wenn man die Viten und Erfahrungen der damals agierenden Personen berücksichtigt, könnte man auch zu dem Schluß kommen, daß damals nichts anderes vorstellbar gewesen ist. Der Aufbau der dezentralen Struktur der Literaturversorgung wurde zugleich durch zwei Umstände begünstigt: Die neu errichteten Seminare konnten nicht in einem zusammenhängenden Gebäudekomplex untergebracht werden, und die bereits 1948 in den Gremienbeschlüssen vorgesehene Universitätsbibliothek konnte erst durch die Errichtung des Henry-Ford-Baus 1954 auch räumlich verwirklicht werden.
Es ist festzustellen, daß die Entwicklung der Freien Universität Berlin zur Massenuniversität der achtziger Jahre die räumliche Streulage ihrer Einrichtungen noch gefördert hat. Die Universität ist auf mehrere Hauptstandorte verteilt, wobei sich (auch fachliche) Schwerpunkte im Bereich Gary-/Ihnestraße (dem Hochschulstammsitz), im Obstbaugelände, im Bereich Arnimallee / Takustraße, am Hindenburgdamm und in Düppel herausgebildet haben. Ein noch ziemlich amorpher weiterer Standort liegt in Lankwitz. Darüber sind ihre Einrichtungen aber weiterhin in zahlreichen kleineren Gebäuden in Zehlendorf und Steglitz untergebracht. Es ist davon auszugehen, daß diese räumliche Streulage so bald auch nicht geordnet 7) beseitigt wird, es sei denn, das Gelände des ehemaligen US-Hauptquartiers könnte für die Freie Universität Berlin zur Verfügung gestellt werden. Auch dann aber werden die Standorte der FU-Einrichtungen nur verringert, ohne in einem Bereich konzentriert werden zu können. Allerdings wäre mit diesem eher unwahrscheinlichen Fall auch die Bildung einer "Bereichsbibliothek Clayallee" zu verbinden, was vielen Befürwortern dieser Lösung noch nicht bewußt zu sein scheint.
Für die bibliothekarische Verwaltungsarbeit ist die Strukturentscheidung für ein zweischichtiges System bis weit in die achtziger Jahre prägend gewesen. Die Verwaltungsarbeit mit Schreibmaschine und Karteien ist auch heute noch dominierend. Ihr Ergebnis, die Karteikarten mit den Katalogisaten der für den jeweiligen Standort beschafften Bücher, werden dort in einem oder mehreren Zettelkatalogen und, der Tradition preußischer Hochschulbibliotheken folgend, in einem Zettel-Gesamtkatalog in der Universitätsbibliothek nachgewiesen. Bei der Einarbeitung der Katalogisate in diesen Katalog zeigen sich auch die unterschiedlichen Auffassungen über die Katalogisierungsnotwendigkeiten bei Monographien und Schriftenreihen, die aber jeweils vor Ort Bestand haben können.
Frühe Zentralisierungen der Arbeit gab es nur für den Bereich der Zeitschriftenkatalogisierung, die zwar noch vor Ort weitgehend konventionell erfolgt, in der Universitätsbibliothek aber bereits seit 1971 in einem inzwischen den Gesamtbestand der FU-Bibliotheken umfassenden EDV-gestützt geführten Zeitschriftenkatalog nachgewiesen wird. Dieses Konzept des EDV-gestützten Nachweises wird auch seit 1990 für die neu erschienenen Monographienbestände der FU-Bibliotheken angewandt, indem der Gesamtkatalog als Kartenkatalog abgebrochen wurde und neben den UB-Erwerbungen auch die Fachbibliothekserwerbungen dort verzeichnet werden. Einige größere Bibliotheken (John-F.-Kennedy-Institut, Klinikum Benjamin Franklin und Wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek) bringen ihre Erwerbungen selbständig ein. Für die Erschließungs- und Erfassungspraxis der bisher auch darin weitgehend selbständig agierenden Fachbibliotheken wird mit einer Ausweitung der EDV-gestützten Katalogisierung ein erheblicher Anpassungs- und Schulungsaufwand einhergehen müssen, eine Gleichförmigkeit des Handelns erzwungen, auch wenn sich sonst strukturell nichts ändern würde.
Aus mehreren Gründen, von denen einerseits die sich abzeichnende geringere Personalausstattung aus Geldmangel (s. dazu unten), andererseits die wesentlich veränderten technologischen Möglichkeiten der Zugangsbearbeitung (Erwerbung und Katalogisierung) im Rahmen eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems als wesentlich genannt werden müssen, ist deshalb die bisherige Form der Zugangsbearbeitung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Deshalb halte ich es für eine Strukturveränderungsnotwendigkeit, die Zahl der Zugangsbearbeitungsstellen zu reduzieren und auf wenige Verwaltungszentren zu konzentrieren.
Ich denke hierbei an ein Zentrum für den Bereich Garystraße/Ihnestraße (wobei ich mir dies nur in der bisherigen Universitätsbibliothek vorstellen kann!), ein bis zwei Zentren auf dem Obstbaugelände, ein Zentrum für den Bereich Arnimallee / Takustraße und jeweils ein Zentrum im Klinikum Benjamin Franklin und im Veterinärmedizin-Standort Düppel. Ob ein weiteres Zentrum am Hochschulstandort Lankwitz erforderlich ist, muß die dafür noch zu treffende Strukturentscheidung zeigen. Die gegenwärtige institutionelle Belegung würde ein Zentrum nicht rechtfertigen. In den Bearbeitungszentren werden alle mit dem Buchzugang erforderlichen Bearbeitungen für den Bereich erledigt. Das dort eingesetzte Personal arbeitet nicht mehr speziell für eine einzelne Bibliothek. Auch für die vielen noch in Dahlemer Villen gelegenen Standorte der sogenannten Kleinen Fächer wird es zu stärkeren Zentralisierungen kommen müssen, indem zukünftig Gruppen von Bibliothekarinnen für mehrere Bibliotheken zuständig sein werden, um eine kontinuierliche Zugangsbearbeitung zu sichern.
Die Zentralisierung der Zugangsbearbeitung bedeutet nicht, daß damit die vielen Literaturstandorte an der Freien Universität geschlossen werden müssen. Dennoch werden wir nach Räumlichkeiten suchen müssen, die eine kostensparendere Zusammenführung in der Benutzung ermöglichen. Die Benutzung wird aber weiterhin dezentralisierter und forschungsnaher möglich sein als die stark zentralisiert erfolgende Zugangsbearbeitung.
Damit wird die Zweischichtigkeit im Sinne eines nur lose miteinander verbundenen Nebeneinanders von zentraler Bibliothek und weitgehend selbständig agierenden Fachbibliotheken durch eine Einschichtigkeit abgelöst. Es ist nach meiner Auffassung nicht nur eine Frage der Etikettierung, ob dieses so entstehende Strukturgebilde nun ein "zentral einschichtiges" oder ein "dezentral einschichtiges" System genannt werden kann. Da die Diskussion innerhalb der Freien Universität Berlin dazu noch nicht abgeschlossen ist, kann ich hier nur angeben, nach welchem Kriterium ich die neue Struktur beurteilen würde, wenn sie festgelegt worden ist.
Mein Kriterium ist die "Verfügungsmacht" über das Personal und die Produktionsmittel. Ich setze dabei bewußt den Begriff Verfügungsmacht in Anführungszeichen, um deutlich zu machen: Eine Verfügungsmacht über das Personal zu postulieren ist weder mit modernen Personalführungsprinzipien zu vereinbaren noch faktisch gerechtfertigt. Ebenso wie bei den Produktionsmitteln (Erwerbungsetat, sachliche Ausstattung, Raum) ist die von den Bibliotheksverantwortlichen ausgeübte Führungstätigkeit (die Betriebswirte nennen dies den "dispositiven Faktor") nur eine abgeleitete, und zwar abgeleitet aus den Einflußmöglichkeiten, die Präsident und Kanzler der Freien Universität Berlin diesen Verantwortlichen einräumen (können).
Nach diesem Kriterium ist ein zentral einschichtiges System dadurch kennzeichnet, daß die (abgeleitete) Verfügungsmacht an einer Stelle konzentriert wird, während ein dezentral einschichtiges System die Verfügungsmacht an mehreren Entscheidungsstellen ansiedelt. Hierbei ist offenkundig geworden, daß bisher die Mehrheit der FU-Mitglieder das dezentral einschichtige System realisiert sehen möchte. Die Gründe, die diese Haltung befördern, sind ganz unterschiedlicher Herkunft. Ich will aber auch nicht verhehlen, daß mir gegenwärtig nur das zentral einschichtige System als Möglichkeit erscheint, die notwendigen Strukturveränderungen zu initiieren und auch durchzusetzen.
Zum Personalmanagement
Die Auffassung, daß die Strukturveränderung des Bibliothekssystems der Freien Universität Berlin nur durch ein zentrales einschichtiges System zu erreichen ist, führt auch zu meiner Forderung nach einem zentralen fachorientierten Personalmanagement.
Ich habe in einer früheren Analyse unseres Bibliothekssystems die zur Zeit entstehenden Kosten auf ca. 60 Millionen DM geschätzt. Davon werden gegenwärtig etwa 14 Millionen DM für Literaturerwerb, 36 Millionen DM für das Personal und weitere 10 Millionen DM für die Räumlichkeiten ausgegeben. Wenn eingespart werden muß, kann dies notwendigerweise nur bei den Personalkosten geschehen. Die Literaturerwerbungsmittel sollten auf einem möglichst hohen Stand gehalten werden, um den weiteren Ausbau der teilweise einzigartigen Bibliotheken nicht noch mehr zu gefährden 8) . Hier sehe ich eine Untergrenze bei etwa 9,5 bis 10 Millionen DM. Die Kosten für die Räumlichkeiten könnten nur verringert werden, wenn die Bibliotheksstandorte in nennenswertem Umfang zusammengelegt werden könnten.
In den Bibliotheken wird das Personal für die Zugangsbearbeitung (Medien auswählen, beschaffen und in die Kataloge einarbeiten) und für die Benutzung (Information, Ausleihe, Aufrechterhalten langer Öffnungszeiten) eingesetzt. Da bei Personaleinsparungen der Benutzungsbereich solange wie möglich geschont werden muß, liegen nur in der Zugangsbearbeitung größere Einsparreserven. Hierbei gehe ich davon aus, daß mittelfristig etwa 20 Prozent aller Stellen, also etwa 90 Stellen, eingespart werden müssen. Mit real gesunkenen Erwerbungsetats ergeben sich bereits wegen des geringeren laufenden Arbeitsanfalls Einsparpotentiale beim Personal. Diese werden aber nicht ausreichen, um den genannten Spareffekt zu erzielen. Im Bereich der Zugangsbearbeitung muß in viel stärkerem Maß als bisher automatisiert und rationalisiert werden. In logischer Konsequenz bedeutet das für notwendig erachtete Einsparvolumen, daß in den nächsten 6-8 Jahren keine freiwerdende Stelle neu besetzt wird.
Um hier ein sachgerechtes Vorgehen zu ermöglichen, halte ich es für erforderlich, daß die fachliche Bewirtschaftung der Personalstellen zentralisiert wird. Nur so können entstehende (und entstandene) Unzuträglichkeiten ausgeglichen werden. Hierzu bedarf es einer sehr gründlichen Personalplanung, die Anforderungs- und Eignungspotentiale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitsamt der Vorlieben und Abneigungen und eine notwendige Mindestausstattung für die einzelnen Aufgabengebiete berücksichtigt, aber auch den erwartbaren Einsparungseffekt bei "natürlichem" Verlauf. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Überlegungen, aus den freiwerdenden Stellen einen "Pool" zu bilden, der für diese Ausgleichsmaßnahmen eingesetzt werden kann, greifen nicht, weil durch das konsequente Streichen freiwerdender Stellen kein solcher Pool entstehen kann. Vielmehr sind die noch vorhandenen Stellen und Beschäftigungspositionen als Pool zu betrachten, der für die Umstrukturierung auszuschöpfen ist.
Hierbei sollte aber auch allen Verantwortlichen klar sein, daß damit nicht die große Personalumsetzung in den Bibliotheken eingeleitet wird. Wir sprechen nicht umsonst von Fachbibliothekarinnen und -bibliothekaren, deren Qualifikation nicht nur in der formalen Erschließung von Dokumenten liegt, sondern deren besondere Qualifikation sich oftmals aus der Vertrautheit mit den von ihnen bisher bearbeiteten Beständen ergibt. Es wäre für eine dienstleistungsorientierte Bibliotheksverwaltung widersinnig, auf diese besonderen Qualifikationen bei der Erschließung und bei der Bestandsvermittlung zu verzichten. Es muß aber angesichts der Kürzungsnotwendigkeiten geprüft werden, in welchem Umfang diese Qualifikation noch "vor Ort" bereitgestellt werden kann (und muß).
Die Alternative bei einem dezentral einschichtigen System wäre die differenzierte Verteilung der zu streichenden Stellen auf die einzelnen zu bildenden Bibliotheksbereiche. Hier kommt keine gleichmäßige Verteilung von Kürzungsauflagen in Frage, sondern jeweils unterschiedliche Auflagen mit unterschiedlichem Qualifikationen als Ergebnis einer Personalausstattungsplanung auf niedrigem Niveau. Auch dies schließt Umsetzungen nicht aus. Das würde aber zugleich bedeuten, daß einzelne Bibliotheksbereiche mehr zufällig als geplant Fachpersonal verschiedenster Qualifikation verlieren würden, da in keinem Fall vor Erreichen der Gesamtkürzungsauflage eine Stelle neu besetzt werden kann. Wenn dem nicht über eine zentrale Stellenbewirtschaftung entgegengesteuert werden kann, sind neue Ungleichgewichte in der Ausstattung der FU-Bibliotheken programmiert, wie sie sich auch bei der Personalbedarfsumfrage der BIK im Sommer 1995 gezeigt haben.
Zum Finanzmanagement
Die Bildung von Bibliotheksbereichen wird einhergehen müssen mit einer grundlegend neuen Zuweisung der Erwerbungsmittel. Diese bedarfsgerechte Verteilung ist nur möglich, wenn zunächst alle Erwerbungsmittel "in einen Topf" geworfen werden und dann in Aushandlungsprozessen neu auf die Bibliotheksbereiche aufgeteilt werden. Dabei sollte allen klar sein, daß sich "Bedarf" nicht an dem "Notwendigen" oder der "Bequemlichkeit", sondern an dem geringeren "Möglichen" orientieren muß, und zwar aus der insgesamt noch möglichen Ausstattung der Bibliotheksbereiche mit Erwerbungsmitteln. Ich hatte vor Jahren vorgeschlagen, jeweils 5 oder 10 Prozent der Erwerbungsetats zunächst zu sperren und dann neu zu verteilen, um allmählich eine bedarfsgerechte Struktur der Erwerbungsmittel zu erreichen, und zwar damals noch als Umschichtung des Zuwachses. Nun zwingen uns die Zeitläufte, diesen Schritt viel radikaler zu gehen und sofort eine bedarfsgerechte Neuverteilung auf wesentlich niedrigerem Niveau in Angriff zu nehmen.
Dies wird auch deshalb kein leichtes Unterfangen sein, weil die bedarfsgerechte Neuverteilung von Erwerbungsmitteln eng verbunden ist mit der Hochschulstrukturplanung in Berlin. Zunächst ist offensichtlich, daß ein laufender Bedarf für die Ausbildung besteht, der zu befriedigen ist. Ein Beispiel hierfür ist die Lehrbuchsammlung in der Universitätsbibliothek, für die in den letzten Jahren durchschnittlich eine halbe Million DM an Erwerbungsmitteln bereitgestellt wurde. Eine vergleichbare Summe wäre auch bei dezentraler Bereitstellung der Mehrfachbestände aufzubringen. In diesem Zusammenhang wurde auch vorgeschlagen, jedem Hochschullehrer einen Mindestbetrag an Erwerbungsmitteln zu garantieren, damit die gesetzliche Verpflichtung des Paragraphen 39 Berliner Hochschulgesetz i.V.m. Artikel 5 des Grundgesetzes zumindest im Ansatz erfüllt werden kann.
Viel bedeutender für die Qualität einer Bibliothek sind aber die Aufwendungen, die nicht oder nicht nur einer unmittelbaren Nachfrage entspringen, sondern mit dem Ziel der Bestandsabrundung und der Vollständigkeit des Themas getätigt werden, also für einen zukünftigen Bedarf bereitgestellt werden. Hier müßte man wissen oder zumindest abschätzen können, ob sich diese Investitionen in eine ungewisse Forschungszukunft überhaupt lohnen, weil in kommenden Jahren tatsächlich noch eine Nachfrage nach diesem Bestand an der eigenen Universität bestehen wird. Die mit mehreren hunderttausend Bestandseinheiten sehr große Bibliothek des ehemaligen Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung, die sich trotz aller inhaltlichen Qualität zur "ungeliebten Erblast". entwickelt, weil sie für die FU-Forschung nur noch marginale Bedeutung zu haben scheint, sollte uns ein warnendes Beispiel sein. Erwerbungspolitik unter diesen Voraussetzungen zu gestalten ist eine neue Herausforderung für die Freie Universität Berlin. Es sind sicherlich noch nicht alle Instrumentarien entwickelt, die dafür nötig sind. Mindestens scheint aber eine enge Kooperation mit der Entwicklungsplanungskommission notwendig.
Im übrigen schließt eine zentrale Mittelbewirtschaftung nicht aus, daß einzelne Einrichtungen der Universität "ihre" Fachbibliotheken weiterhin mit zusätzlichen Mitteln ausstatten können, wenn es ihnen aufgrund des Haushaltsvollzugs möglich wird. Ebenso wie bei Berufungszusagen, die an eine bestimmte Literaturversorgungsthematik gebunden sein können, gibt es weitere Förderungsmöglichkeiten über die aus der Gesamtsicht der finanziellen Möglichkeiten heraus zugewiesene "bedarfsgerechte" Ausstattung. Es wurde oben bereits deutlich, daß nicht beabsichtigt ist, die Aufstellung der Literatur in demselben Maß zu zentralisieren wie die Zugangsbearbeitung. Es kann aber bei aller guten Absicht nicht ausgeschlossen werden, daß die bisherige innige Verbindung von Forschung und Literaturversorgung an den einzelnen Standorten voneinander getrennt wird, indem bei der Aufgabe von Standorten nicht mehr geprüft wird, ob die jeweiligen Bibliotheken in das neue Domizil mit hineinpassen, sondern in fußläufiger Entfernung zentralere bibliothekarische Einrichtungen für mehrere Fächer geschaffen werden. Ob sich daraus "Bindungsschwächen" zwischen Forschung und Literaturversorgung ergeben, ist schwer einzuschätzen, sollte aber bei allseits rationalem Verhalten auszuschließen sein.
Zum Integrierten Bibliotheksverwaltungssystem
Eine wichtige Maßnahme für das Gelingen dieses Strukturkonzeptes ist die Einführung eines Integrierten Bibliotheksverwaltungssystems. Es wird die Zugangsbearbeitungsstellen untereinander und mit regionalen und überregionalen Bibliotheksdatenbanken verbinden, um so weitere Synergieeffekte auszunutzen. Hierfür haben wir in der Vergangenheit bereits wichtige Vorarbeiten geleistet. Über das geplante System selbst habe ich an anderer Stelle in diesem Tagungsband berichtet.
In dem hier erörterten Zusammenhang muß auch deutlich gesagt werden, daß die notwendige Strukturreform nicht von der Einführung dieses Systems abhängig gemacht werden kann, also ein Junktim gebildet werden kann. Wie sehr ich dieses System für ein "Ferment" halte, mit dem dieser Prozeß erheblich beschleunigt werden kann, so kann und muß eine Strukturreform auch ohne dieses System zumindest eingeleitet werden. Die nun erforderlichen Grundsatzentscheidungen und Vorarbeiten müssen rasch in Angriff genommen werden, trotz allen Respekts vor den Hochschulgremien, so daß erste Maßnahmen bereits im Haushaltsjahr 1998 greifen können.
Ich glaube mit dieser Konzeption einen vernünftigen Kompromiß zwischen den Sparnotwendigkeiten und der erforderlichen Literaturversorgung vor Ort anzustreben, da es nach meiner Meinung dem Benutzer ziemlich egal ist, auf welchem Bearbeitungsweg ein Medium an den Standort in der Bibliothek gelangt ist: Hauptsache, es konnte überhaupt beschafft und verfügbar gemacht werden!
Anmerkungen:
1) Auch in den Diskussionen innerhalb der Freien Universität Berlin ist nicht immer klar zu erkennen, wer was mit diesem Begriff verbindet. Hier ist nicht der Raum, um die umfangreiche Diskussion der sechziger Jahre zu wiederholen. Einen guten Überblick bieten die beiden Kölner bibliothekswissenschaftlichen Dissertationen: Wang, Weiguo: Bibliotheken als soziale Systeme in ihrer Umwelt, Köln: Greven, 1989 und Wang, Jingjing: Das Strukturkonzept einschichtiger Bibliothekssysteme, München u.a.: Saur, 1990. Allerdings sollte klar sein, daß "zweischichtig" nicht "zweigleisig" bedeutet und daß der Gebrauch des Begriffs "System" immer eine organisatorische Einheit meint, unter einer Leitung, die beauftragt ist, die Teile zu einem wirksamen Ganzen zu fügen, wie es Rolf Kluth in seinem Grundriß der Bibliothekslehre 1970 formuliert hat. Hierbei mag offen bleiben, wie der Begriff "Leitung" zu bestimmen ist.
2) Stellungnahme zur Bibliotheksversorgung an der Freien Universität Berlin, Berlin 1990, S. 30. (Drucksache des Wissenschaftsrats ; 9646/90)
3) Antwort der Freien Universität Berlin auf die "Stellungnahme des Wissenschaftsrats zur Bibliotheksversorgung an der Freien Universität Berlin". In: Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen: Mitteilungsblatt, 41. 1991, S. 146-166. 1995 haben wir feststellen müssen, daß diese Antwort weder vom Wissenschaftsrat noch von der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung zur Kenntnis genommen wurden.
4) Eine hierauf aufbauende Darstellung ist: Naumann, Ulrich: Vorschläge zu einer neuen Bibliotheksstruktur der Freien Universität Berlin - zugleich ein Sparkonzept, in: Bibliotheks-Informationen, Nr. 30. 1996, S. 1-10.
5) Präzisierungen der Rahmenbedingungen und der Bibliotheksstruktur für das Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin. - 29. Juli 1996. Obwohl aus den Formulierungen auf der ersten Seite deutlich werden müßte, daß dies keine "neue" Stellungnahme der Universitätsbibliothek ist, wird immer wieder ein Zusammenhang mit der Stellungnahme der Universitätsbibliothek konstruiert (frühere - spätere Auffassung, Naumann I - Naumann II). Man erkennt die Absicht und ist verstimmt.
6) Mein dort auf den Seiten 16-18 abgedruckter Beitrag wurde von mir unter dem "akademischen" Titel: "Zum notwendigen Strukturwandel der Literaturversorgung an der Freien Universität Berlin" eingereicht. Die journalistische Aufbereitung machte diesen Titel zum Zusatz und schuf den Titel: "Das Bibliothekssystem zentralisieren, automatisieren, rationalisieren".
7) Neben dem "geordneten" Rückzug aus den Villenstandorten könnte aber auch massiv und ungeordnet die Forderung des Senats von Berlin, die FUB müsse im Rahmen der Haushaltskonsolidierung ihre Villen aufgeben, die räumliche Struktur der FUB beeinflussen. Auch diese Politik ist eine der vielen Unwägbarkeiten bei der Strukturdiskussion des FU-Bibliothekssystems.
8) Vgl. dazu den 18 FU-Bibliotheken behandelnden Abschnitt im Handbuch der historischen Buchbestände, Hildesheim u. a.: Olms-Weidmann, 1995, hier: Band 14: Berlin, Teil 1, S. 179-210, und: Fouquet-Plümacher, Doris: Die Bibliotheken der Freien Universität Berlin im Handbuch der historischen Buchbestände, in: Bibliotheks-Informationen, Nr. 30, 1996, S. 10-13.